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Wie ist das Verhältnis zwischen Wahrheit

und Theorie bei Ryle?

INHALTSVERZEICHNIS

1.   EINLEITUNG

2.   WAS IST DENKEN?

3.   DIE INTELLEKTUELLE FÄHIGKEIT

3.1 THEORIEN AUFSTELLEN UND HABEN

3.2. RICHTIGE ANWENDUNG DER ERKENNTNISTHEORETISCHEN AUSDRÜCKE

3.3. DIE IMAGINATION

4.    WAHRHEIT UND THEORIE BEI RYLE

5.    SCHLUSSBETRACHTUNG

6.    LITERATURVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

Gilbert Ryle hat im Kapitel 9 seines Buches „Der Begriff des Geistes” den Begriff Verstand bzw. Intellekt erklärt und die Theorie des Denkens entwickelt. Wie in den anderen Kapiteln seines Buches behandelt er zahlreiche Aspekte des Denkens in der traditionellen Theorie. Ryle hat das Buch 1949 verfasst und dessen verschiedene Themen, inklusive des Gebrauchs des Verstandes, später weiter bearbeitet.

Ryle untersuchte die intellektuellen Operationen, deren Ziele das Finden der Wahrheit und zahlreiche Etappen der Theorieentwicklung sind. Später behandelte er auch den Begriff der Kreativität.

Die Frage der vorliegenden Arbeit ist: Wie ist das Verhältnis zwischen Wahrheitssuche und Theorie bei Ryle?

Um diese Frage zu beantworten, werden Ryles Kritik der traditionellen Theorie des Denkens, seine Abhandlungen über intellektuelle Fähigkeiten, über die richtige Anwendung erkenntnistheoretischer Ausdrücke bei der Theoriebildung und deren Besitz sowie seine später entwickelte Imaginationstheorie erläutert. In seinem Buch werden die Kritik an der traditionellen Theorie und seine Meinung dazu immer miteinander verknüpft. Ryle verwendet die gleiche Vorgehensweise bei seiner Theorie der Imagination.

Im Abschnitt „die Wahrheit und die Theorie“ wird das Verhältnis zwischen diesen zwei Begriffen bei Ryle in fünf Punkten kritisiert.

Mit der Schlussbetrachtung und den Literaturhinweisen endet die vorliegende Arbeit.

2. WAS IST DENKEN?

Die Frage, was Denken ist, findet bei Ryle keine befriedigende Antwort. Er hat bis zu seinem Tod 1976 über dieses Thema gearbeitet und war trotzdem mit seinen Ergebnissen nicht zufrieden (Magee 1971, 129-30). Das Denken hat viele Facetten, ähnlich wie die Hausarbeit mit Geschirrspülen, Kochen, Reinigung, Wäschewaschen u.a. Alle Menschen in jedem Alter können denken. Ryle hat viele Argumente, wenn er mit den Anhängern der traditionellen Theorie streitet.

Geist und geistig werden von der traditionellen Theorie als gleichbedeutend mit Verstand und Intellekt verwendet und der Geist wird als unsichtbares Organ betrachtet. Wenn man einen starken Intellekt hat, stellt man sich dies wie ein starkes Auge vor. Ryle hat die Auffassung, dass der Intellekt offen ist und bei zahlreichen Aktivitäten benutzt werden kann, wie ein mathematisches Problem zu lösen und ein Buch zu verfassen. Der Begriff Geist wird als gleichbedeutend mit Verstand oder Intellekt verwendet. Die Frage, ob ein Mensch intelligent ist, kann durch die Ergebnisse des Intellekts beobachtet werden.

Die Anhänger der traditionellen Theorie beschreiben die intellektuellen Operationen als wahrheitssuchende Bemühungen; dagegen hat Ryle die Auffassung, dass obwohl Bridge und Schach intellektuelle Spielen sind, ihr Ziel der Gewinn und nicht die Wahrheitsentdeckung ist.

Die Entdeckungen eines Kindes sind auch intellektuelle Operationen. Ein Kind mit seinen Augen, Händen, Ohren und seiner Nase entdeckt verschiedene Objekten in seiner Umgebung, aber es findet dabei keine neue Wahrheit.

Eine andere Beschreibung des Denkens durch die traditionelle Theorie ist es, mit Bedeutungs-symbolen (Wörtern und Sätzen) zu operieren. Diese Beschreibung ist auch ungenügend, denn Kinder nutzen auch diese Symbole und kennen aber oft nicht ihre Bedeutungen.

Andere Definition des Denkers besteht darin, dass er zweckmäßig und mit  Aufmerksamkeit operiert. Diese Definition ist auch fehlerhaft, weil die Kinder während eines Puzzlespiels zweckmäßig und mit der Aufmerksamkeit operieren, damit das Puzzle erfolgreich vervoll-ständigt wird.

Wenn das Denken als eine Art von Schöpfung von eigenen Wörtern in der Kommunikation zu anderen definiert wird, bringt es kein Licht in die Dunkelheit. In der täglichen Sprache produziert man spontan neue Wörter und Wörterkombinationen. Dieser Prozess verläuft fast ohne Anstrengung des Nachdenkens.

Die Anhänger der traditionellen Theorie betrachten das Theoretisieren als eine hoch entwickelte kognitive Arbeit. Dagegen ist Ryle der Auffassung, dass die Theoriebildung auf akademischer Bildung aufbaut.

Das Wort Denken hat mehrere Bedeutungen. Für Ryle werden die Verben des Denkens mit Adverbien verbunden, so wie ein Autor ein Buch schnell und mit Aufmerksamkeit verfasst. Ein Buch zu verfassen ist eine intellektuelle Arbeit und laut Ryle sind das Verfassen, die Schnelligkeit und die Aufmerksamkeit nicht drei verschiedene Aktionen, sondern eine. Ryle fand seine Erklärungen in seinem späteren Artikel „A Rational Animal”, der 1962 veröffentlicht wurde, nicht erfolgreich und entschied sich dafür, sich nicht auf erste Bedeutung des Denkens zu stützen (die allgemeine Form, dass alle Menschen denken können), sondern sich auf die zweite Form (das akademische Denken) zu konzentrieren. (Lyons 1980, 187)

3. DIE INTELLEKTUELLEN FÄHIGKEITEN

Die intellektuellen Fähigkeiten sind nicht angeboren, sondern entwickeln sich durch Bildung, Prüfungen, Referate und zahlreiche Diskussionen. Diese Fähigkeiten sind nicht unsichtbar, sondern in ihrer Entwicklung beobachtbar. Ryle ist der Auffassung, dass ohne die entsprechende Bildung keine solchen Fähigkeiten entstehen.

Ryle bezieht sich auf die intellektuelle Arbeit an den Universitäten. Studenten werden ständig durch bestimmte Prüfungen herausgefordert, die AkademikerInnen diskutieren miteinander, schreiben Bücher und Aufsätze, nehmen an wissenschaftlichen Seminaren teil. Die Entwicklung der intellektuellen Fähigkeiten wird dadurch sichtbar.

Ryle hat insbesondere den didaktischen Diskurs und die Aufstellung von Theorien untersucht. Die Voraussetzung des didaktischen Diskurses ist vorheriges Lernen. Der Diskurs in einem Unterricht ist auch Selbstlernen.

„Im Diskurs wird Unterricht erteilt, und er ist selbst zu einem gewissen Grad Ergebnis von Unterricht.“ (Ryle 2015, 389)

Man erzählt den Studenten etwas oder erhält einen Vortrag vor einem Fachpublikum und lernt aus seiner eigenen Erzählung. Ryle beschäftigt sich mit dem gleichen Thema bei der Aufstellung von Theorien.

3.1 Theorien aufstellen und besitzen

Theorie hat unterschiedliche Bedeutungen, deren gemeinsames Ziel Wahrheitsentdeckung ist. Eine Theorie aufzustellen, ist laut Ryle ähnlich wie reisen; eine Theorie zu haben, heißt, am Bestimmungspunkt zu sein (Ryle 2015, 391).

Wenn eine Theorie bereits fertiggestellt wird, dann ist der Besitzer bereit, diese Theorie zu formulieren – mündlich oder auf dem Papier zu diskutieren, vorzutragen, wenn nötig ist, gegen die Kritiker zu verteidigen oder anzuwenden. Eine Theorie hat zahlreiche Anwen-dungsmöglichkeiten. Die Anwendung einer Theorie zu beherrschen, bedeutet nicht das Gleiche zu wiederholen, sondern sie für die Lösung verschiedener Probleme anzuwenden. Das Newtonsche Gravitationsgesetz wird überall anwendbar und wenn diese Theorie vor-getragen wird, werden nicht nur diese Theorie, sondern ihre möglichen Anwendungs-möglichkeiten und im Allgemeinen die wissenschaftliche Vorgehensweise dargestellt. Die wissenschaftliche Methode ist ein integraler Teil des Vortrags und des verfassten Papiers.

Um eine Theorie aufzustellen, sind eine systematische Vorgehensweise, Anstrengungen, Beobachtungen und eine Diskussion mit sich selbst sowie ein Meinungsaustausch mit den Fachleuten nötig. Während dieses Prozesses sind für den Besitzer einige Fehlkalkulationen und falsche Vermutungen möglich. Er lernt durch die Diskussionen und Vorträge, seine eigene noch nicht veröffentlichte Theorie zu überprüfen. Dieser Entstehungsprozess wird später nicht veröffentlicht, wenn die neue Theorie bekanntgegeben wird.

Ryle vertritt die Meinung, dass die Erkenntnistheoretiker die Theorieaufstellungsarbeit nicht immer mit den richtigen Ausdrücken erklären.

3.2. Richtige Anwendung der erkenntnistheoretischen Ausdrücke

Laut Ryle gehört das Verzeichnis der Ausdrücke, mit denen intellektuelles Vermögen und die dazu gehörenden Operationen beschrieben werden, wie Urteil, diskursives Denken, Sub-sumieren, Verallgemeinern, nicht zum Theoriebauprozess, sondern zu den veröffentlichten Theorien.

Eine Theorie aufzustellen, ist kein stufenweiser Entwicklungsprozess, wie zuerst die Idee, dann die Entstehung der Begriffe, Argumentation, Verallgemeinern usw., sondern ein hin- und her verlaufender Prozess von Versuch und Irrtum. Es kann möglich sein, dass der Besitzer der Theorie fast am Ende der Formulierung bemerkt, dass neue Begriffe nötig sind. Dann muss der Theoretiker fast alles von Neuem beginnen und neu formulieren. Die argumentative Vorgehensweise muss eventuell mehrmals geändert werden, wenn die Prämissen und Argumente erneuert werden.

Anhängern der traditionellen Theorie vermischen die Aussagen für den Theoriebau und veröffentlichte Theorien miteinander. Wenn eine Aussage für das Urteil verwendet wird, gehört sie nicht mehr der Forschung an, sondern dem Ende.

Bei Ryle fehlt die Rolle der Imagination beim Theoriebauprozess, die er später entwickelt.

3.3. Imagination

Ryle kritisiert zuerst die traditionelle Theorie, die das Denken und die Imagination als etwas völlig Unterschiedliches betrachtet (Ryle 1979, 52-53). Laut Ryle funktioniert der Verstand nicht wie ein Ministerium mit den zahlreichen Abteilungen, sondern Denken und Imagination sind miteinander integriert. Er erkennt Verbindungen zwischen wissenschaftlicher und literarischer Imagination.

Faradays, Edisons und Newtons Erfindungen und wissenschaftliche Theorien können seiner Meinung nach als eine Kombination des Denkens und der Imagination betrachtet werden. Sie denken nicht erst und imaginieren später oder vice versa, sondern die Imagination ist eine Art des Denkens.

Literarische Imagination ist laut Ryle ist eine Art von Kreation, die zur lebendigen Erzählung führt. Der Krieg zwischen England und Frankreich bei Waterloo kann in verschiedener Art und Weise erzählt werden. Ein Biograph von Napoleon kann den Krieg mit vielen sachlichen Informationen erzählen wie der Zahl der Soldaten und der Kavallerie, mit der Erwähnung der Wetterlage (regnerisch) usw. Ein Anderer kann die gleiche Realität lebendiger erzählen, wie der Erwähnung des Wassers in den Schuhen der Soldaten. Die eine biographische Erzählung ist eher sachlich nüchtern, aber in der anderen fühlt man durch eine imaginationsreiche Erzählung den Krieg und die psychologische Erfahrung der Soldaten.

„In Summary, imagining is, I am maintaining, not an activity to be contrasted with thinking; nor yet a species of thinking. It is the innovating, inventing, exploring, adventuring, risk- taking- if you like, creative, vanguard or scout-patrol – of thinking.” (Ryle 1979, 63)

4. WAHRHEIT UND THEORIE BEI RYLE

Ryles Theorie des Denkens kann unter fünf Punkten kritisiert werden.

Erstens: Ryle vertritt die Meinung, dass das Ziel der intellektuellen Tätigkeit die Entdeckung der Wahrheit ist; nur definiert er nicht, was die Wahrheit ist. Er verwendet den Begriff wie in der täglichen Umgangssprache, dagegen ist die wissenschaftliche Definition der Wahrheit seit Langem umstritten. Was die Biographen und Historiker machen, ist jeweils eine intellektuelle Arbeit, ein Versuch, um die Wahrheit zu erreichen. Ryle erkennt die Vielfältigkeit der Theorien, aber für ihn haben sie ein gemeinsames Ziel: die Wahrheit. In der Realität ist die Wahrheit auch vielfältig wie die Theorien.

Zweitens: Die Entdeckung einer bestimmten Wahrheit ist eine methodische Frage, durch unterschiedliche Methoden kann man nicht identische Wahrheiten erreichen. Die Wichtigkeit der verwendeten Methode für die Wahrheitsuntersuchung hat keinen Platz in Ryles Theorie.

Aus den zahlreichen Beispielen werden die folgenden zwei gewählt. Vorher soll bemerkt werden, dass Ryle sich nicht um die Methoden der zeitgenössischen Naturwissenschaft bemüht hat. Er hat die Entdeckungen von Archimedes, Newton, Edison und Faraday als Beispiele angegeben und diese als gleichbedeutend für die Wahrheitsentdeckung bewertet. In der Realität war die Methode von Archimedes experimentell, aber diejenige von Newton überwiegend mathematisch. Der Erste brauchte keine Wahrheitsprüfung, weil die Methode schon experimentell war; dagegen war für Newton eine Bestätigung der Theorie durch das Experiment nötig. Eine Erfindung soll durch die mathematische Formulierung experimentell geprüft werden, vor dieser Prüfung ist die Theorie nur eine plausible Hypothese, die noch nicht verifiziert ist.  Am Anfang ist es umstritten, ob die gefundene mathematische Wahrheit mit der Wahrheit in der Natur korrespondiert. Ryle betrachtet den Unterschied zwischen der theoretischen (in diesem Fall mathematischen) und überprüften und der anerkannten Wahrheit nicht.

Obwohl „Der Begriff des Geistes“ erst 1949 veröffentlicht wurde, bezog sich Ryle nicht auf die Beispiele der wissenschaftlichen Revolutionen in der Physik am Anfang des 20. Jahrhunderts, wie Einsteins spezielle Relativitätstheorie (1905), allgemeine Relativitätstheorie (1915) und Heisenbergs Quantenmechanik (1925). Die Besitzer dieser Theorien hatten eine intensive intellektuelle Arbeit geleistet und unterschiedliche Methoden verwendet, um die Wahrheit zu erkennen. In der Realität verlief die intellektuelle Arbeit bei den Relativitäts-theorien in einer umgekehrten Richtung: Das Ziel der Theorie war nicht die Entdeckung der Wahrheit (weil die Wahrheit von Anfang an bekannt war), sondern die Untersuchung der entsprechenden Theorie. Die Geschwindigkeit des Lichtes ist konstant, unabhängig von der Geschwindigkeit ihrer Quelle und die entsprechende Frage ist: Welche Theorie kann diese Wahrheit erklären?

Drittens: Ryle kennt keine theoretische Hypothese. Eine Hypothese ist nicht die Wahrheit, sondern nur eine Möglichkeit, die durch das Experiment geprüft werden soll. Ein klassisches Beispiel ist die allgemeine Relativitätstheorie. Die Unregelmäßigkeiten bei den Bewegungen von Merkur werden beobachtet. Diese waren durch das Newtonsche Gravitationsgesetz unerklärbar. Die Wahrheit war durch die Beobachtung bekannt; was erforscht wurde, war die entsprechende Theorie. Einstein hatte eine intensive intellektuelle Arbeit geleistet, die eine Mischung von Reinterpretation des bestehenden Wissens, Imagination und Kreativität war und das Beobachtete theoretisch erklärt. Wegen der damaligen Unterentwicklung von Teleskopen war er der Meinung, dass seine Theorie nicht überprüfbar sei. Nach einigen Jahren ist die Richtigkeit seiner Theorie durch die entwickelten Beobachtungsgeräte bestätigt worden, und erst dann wurde eine gut formulierte Hypothese zur Wahrheit.

Viertens: Ryle macht keinen Unterschied zwischen den naturwissenschaftlichen und sozial-wissenschaftlichen Theorien und den entsprechenden Wahrheitsbegriffen. In der Realität sind die Wahrheitsbegriffe dieser Theorien unterschiedlich. Naturwissenschaftliche Wahrheit ist unveränderbar, d.h. unter den gleichen Voraussetzungen ist das Resultat immer gleich. Der Abbiegungswinkel des Lichtes von Merkur wird ständig beobachtet und gemessen und ist immer gleich. Wenn nur einmal ein anderes Ergebnis herauskäme, dann wäre die ent-sprechende Theorie (allgemeine Relativität) wie die newtonsche Mechanik inkonsistent.

Für die sozialwissenschaftliche Wirklichkeit hat einen anderen Charakter. Eine gleiche Theorie kann nicht zu den gleichen gesellschaftlichen Konditionen angewendet werden. Zwei Gesellschaften können sehr ähnlich sein und trotzdem führen soziale Unruhen in einer zu einer demokratischen Revolution, dagegen in der anderen zum Faschismus.

Fünftens: Kreativität ist nicht nur mit intensiver Arbeit, Intelligenz und Wissen, sondern auch mit der Persönlichkeit verknüpft. Eine kreative Erfindung, die dem bestehenden Wissen widerspricht, verursacht oft heftige Reaktionen. In der neuzeitlichen Geschichte waren die Bespiele von Kopernikus und Galileo bekannt. Der Erste konnte seine Erfindung, dass die Erde nicht das Zentrum des Universums ist, erst nach seinem Tod veröffentlichen lassen. Die katholische Kirche attackierte diese Erfindung heftig und drohte mit der Todesstrafe wie im Fall von Galileo. Einstein wurde nach der Veröffentlichung seiner Theorien auch heftig kritisiert. Wenn eine neue Erfindung irgendwelche politische Bedeutung hatte (wie im Fall der katholischen Kirche im 15. Jahrhundert), dann bekam der Besitzer der Theorie Schwierigkeiten. Deshalb kann man etwas Neues gegen den herrschenden Glauben oder sogar das Wissen erfinden, aber aus Angst nicht veröffentlichen.

Es gibt kein direktes Verhältnis zwischen einer kreativen Erfindung und ihrer Ver-öffentlichung wie bei Ryle.

5. SCHLUSSBETRACHTUNG

In dieser Arbeit wurde Ryles Kritik der traditionellen Theorie des Denkens, der richtigen Anwendung der erkenntnistheoretischen Ausdrücke bei der Aufstellung und dem Besitz einer Theorie erläutert. Ryle hat die Theorie der Imagination später entwickelt und geäußert, dass das Denken und die Imagination nicht unterschiedlich, sondern miteinander integriert sind.

Ryle konzentrierte sich nicht an den Formen des alltäglichen Denkens, die alle Menschen in jeglichem Alter leisten können, sondern an der intellektuellen Arbeit im Rahmen der Theorieaufstellung. Seine Thesen über die Aufstellung wissenschaftlicher Theorien und die richtige Anwendung der entsprechenden Ausdrücke wurden ebenfalls erwähnt.

Die Entwicklung der Intelligenz ist nicht geheim. Wie die Intelligenz eines Menschen durch Bildung, zahlreiche Diskussionen und Prüfungen entwickelt wird, ist beobachtbar.

Ryle vertritt die Meinung, dass die intellektuellen Operationen auf die Wahrheit abzielen. Intellektuelle Arbeit, Vorträge, zahlreiche Diskussionen und eventuelle Korrekturen beim Aufstellen einer Theorie zielen auf die Entdeckung der Wahrheit ab. Ryle definierte nicht, was die Wahrheit ist und verwendet den üblichen Wahrheitsbegriff aus der Umgangssprache. Ryle kannte die Unvermeidbarkeit der Bestätigung von Hypothesen und verschiedene Arten von Theorien nicht.

Wahrheit ist eine Art von Konstruktion. Theorien werden konstruiert, eine Konstruktion kann durch zahlreiche Diskussionen verbessert werden, aber selbst die beste konstruierte Theorie entspricht nicht der Wahrheit. Sie muss erst experimentell überprüft werden und diese Überprüfung hatte keinen Platz in Ryles Theorie.

Man schlägt eine Theorie nach einer mühsamen intellektuellen Arbeit und zahlreichen Diskussionen vor. Der Besitzer der Theorie kann sie verteidigen und veröffentlichen. Es ist noch nicht die Wahrheit, weil sie noch nicht experimentell überprüft worden ist. Oft ist allerdings der Ausgangspunkt einer Theorie schon die Wahrheit. Besonders nach einer raschen Entwicklung von Beobachtungsgeräten kann eine Wahrheit sogar vor der ent-sprechenden Theorie bekannt werden.

Dass der Kosmos sich ausdehnt, ist eine Wahrheit, die durch Beobachtung gefunden wurde. Die Theorie kann diese Wahrheit erklären und die Vergangenheit (Big Bang) und die Zukunft des Kosmos postulieren. Von der einzigen Wirklichkeit entstehen zahlreiche Interpretationen, die immer durch die Beobachtung geprüft werden sollen.

Das Verhältnis zwischen Theorie und Wahrheit bei Ryle stimmt nicht mit den natu-rwissenschaftlichen Erfindungen besonders im 20. Jahrhunderts überein. Ryles Theorie ist auch problematisch für die Entstehung von historischen und gesellschaftlichen Theorien, die die Rekonstruktion der Vergangenheit beinhalten, die immer interpretationsbedürftig sind. Es gibt zahlreiche Wahrheiten je nach der jeweiligen Interpretation, dagegen existieren in der Naturwissenschaft eindeutige Wahrheiten, wie die Ausdehnung des Kosmos.

Ryles Theorie kennt keinen Unterschied zwischen naturwissenschaftlichen und historischen sogar gesellschaftlichen Wahrheiten.

Wenn nach einer langen intellektuellen Arbeit, den Diskussionen und Korrekturen eine neue Wahrheit gefunden wird, dann erfolgt keine automatische Bekanntmachung und Anwendung, besonders wenn die Erfindung herrschenden Überzeugungen widerspricht. Religiöse Institutionen protestieren gegen die Manipulation und die Möglichkeit der Reproduktion der menschlichen Gene. Der Mensch dürfe sich nicht in die Werke Gottes einmischen, heißt das Argument.

Eine Wahrheit zu finden bedeutet nicht immer Bekanntmachung und Anwenden wie bei Ryle.

Ryles Theorie des Denkens ist nicht mehr aktuell und das Verhältnis zwischen Wahrheit und Theorie ist problematisch.

6. LITERATURVERZEICHNIS

Havemann, Robert (1965): Dialektik ohne Dogma. München: ro ro ro.

Kolenda, K (1979): Introduction. In: Ryle, Gilbert: On Thinking. Oxford: Basil Blackwell.

Lyons, William (1980): Gilbert Ryle. An Introduction to his Philosophy. New Jersey: The Harvester Press.

Magee, Byran (1917): Modern British Philosophy. Conversation with Gilbert Ryle. Oxford: Oxford University Press.

Ryle, Gilbert (2015): Der Begriff des Geistes. Stuttgart: Reclam.Ryle, Gilbert (2015): Der Begriff des Geistes. Stuttgart: Reclam.